WIRTSCHAFTSSPIEGEL - Ausgabe 05/23

46 Foto: Thomas Müller teressant ist, dass die Fragen, die uns hier beschäftigen, global auch wichtig sind. Auch andere Länder beklagen die Vernachlässigung des ländlichen Raums, auch dort gibt es das Gefühl von Abgehängtsein, mitunter in ganz anderer Schärfe. Aber auch von den guten Ideen aus anderen Regionen können wir lernen. So hatten wir schon vor einigen Jahren in Bedheim, also ganz im Thüringer Süden, auf Initiative der dortigen Projektakteure Gäste aus Japan, die über den U-Turn berichteten, also den Weg vom Land in die Stadt und dann wieder zurück. Ich bin wirklich positiv überrascht, dass unsere Gäste aus dem In- und Ausland selbst die räumlich kleinen Projekte an dezentralen Standorten mit großem Interesse besichtigen. Das reicht von der Feuerorgel in Krobitz über die Open Factory im Eiermannbau Apolda bis zu den Gesundheitskiosken im Unstrut-Hainich-Kreis, um nur einige zu nennen. Immer wenn es ums Bauen geht, erregt das auch die Gemüter der Bürger vor Ort. Welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich gesammelt? Wir haben unterschiedliche Erfahrungen gemacht, meist aber sehr positive. Je früher und stärker auch die Menschen vor Ort in die Projekte einbezogen werden, desto weniger Reibung entsteht im Prozess. Unsere Projektpartner vor Ort leisten da natürlich die meiste Arbeit. Ihnen gelang es meist, ihre Nachbarn zu überzeugen, Mitwirkende zu gewinnen, öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen. Horst Brettel vom Rennsteig erzählte mir, dass ihn Gemeindemitglieder eine Zeit lang nicht mehr gegrüßt hätten, weil er das Projekt der „Her(r)bergskirchen“ verfolgte. Das freilich wurde eines unserer erfolgreichsten Projekte. Nachdem die Nachfrage nach den ungewöhnlichen Übernachtungserlebnissen immer größer wurde, die Gemeinde den Zuwachs an Gästen wahrnahm und das Projekt auch viel Presseresonanz erhielt, wurde auch Horst Brettel wieder freudig gegrüßt und es entstanden weitere „Her(r)bergskirchen“. Die Ergebnisse der einzelnen IBA-Projekte konnte und kann man in diversen Ausstellungen und Veranstaltungen in Augenschein nehmen. Deshalb wollen wir hier nicht auf Details eingehen. Stattdessen interessiert mich der Blick darauf, was die IBA in den aktuellen Debatten um Stadt- und Raumplanung und generell in Sachen Baukultur gebracht hat. Wie fällt Ihr Fazit aus? Sicherlich haben wir hier in Thüringen eine IBA realisiert, die mit StadtLand einen ungewöhnlichen Themenfokus hat. Aber wir verzeichnen ein großes Interesse aus der Fachwelt. Im September wird der bundesweite Kongress der Nationalen Stadtentwicklungspolitik in Jena stattfinden. Sie haben unser Themenangebot aufgegriffen: Zukunftswerkstatt StadtLand. Wir werden diese Gelegenheit erneut wahrnehmen, den Gästen aus Deutschland und aus dem Ausland unsere ‚Lessons Learned‘ zu übermitteln. Bleibt am Ende der IBA die Frage, was als Erkenntnisgewinn bleibt. Werden Sie der Politik Handlungsempfehlungen mit auf den weiteren Weg geben –und welche sind das? Wir wollen unsere IBA mit einem ‚StadtLand Parlament‘ beenden. Gemeinsam mit unseren Projektträgern laden wir am 18. Oktober Parlamentarier und wichtige Thüringer Stakeholder ein, um unsere Erkenntnisse, Ergebnisse und Empfehlungen zur Entwicklung des StadtLands Thüringen zu übergeben. Damit endet die IBA, die wir stets als einen Ausnahmezustand auf Zeit betrachtet haben. Diesen haben die Verantwortlichen vor mehr als zehn Jahren beschlossen und auch über schwierige Zeiten hinweg ermöglicht. Ich möchte nichts vorwegnehmen, gerade erarbeiten wir unsere Positionen in einem intensiven Beteiligungs(!)- prozess, dem StadtLand Forum. Soviel: Wir müssen zu regionalen Ansätzen zurückkehren, um unsere Dörfer, Städte, Länder lebenswert zu gestalten. Thüringen war ein idealer Austragungsort, um das zu verstehen, denn Thüringen ist ganz einfach ein StadtLand. Es geht nicht um ein Entweder-oder oder gar ein Gegeneinander. Und die Zukunft beginnt schon jetzt. Unsere zahlreichen Projektpartner haben unter Beweis gestellt, dass man eine neue Praxis bereits heute gestalten kann. Nicht der eine große Wurf ist das Ziel, sondern viele kleine Schritte von vielen und mit vielen. Um bildlich wieder beim Sport zu enden. Interview: Torsten Laudien In der Abschlussausstellung im Eiermannbau Apolda kann man alle Projekte in Augenschein nehmen

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